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Poesie


 

GEDICHTE

Annelie Jagenholz

(Prosa und andere Kritzeleien an dieser Stelle.)

 



 

Zeitgeschehen

Beschwichtigend senkt sich die Hand
auf meinen Schädel, will mich drehen
in Richtungen, die abseits liegen
und Chaos zur Kultur erheben.

Zeigt mir das feingewob‘ne Netz
aus täglich fordernden Apellen,
die als ein Echo wiederholt
im blauen Flimmer überquellen.

Von dort aus weisen Adern, Drähte
ins weitverzweigte Nirgendwo.
Das alles lärmt und tobt und hallt
und in zu hohen Tönen schallt.

Da krachen Bomben, stürzen Häuser
und Schmerzensschreie klingen laut,
dass kaum noch reicht, es zu verdecken,
wie sehr auch Blindheit weiter schaut.

Die Welt ist Sumpf geworden, Schrei
wie Munch als Deutungslabyrinth.
Am Himmel lösen Wolken Rätsel,
die längst in Stein gemeißelt sind.

Und manchmal klingt ein lautes Summen,
bis kurz die Ansichten verstummen,
aus weiter Ferne bis ins Jetzt
und zeigt, wohin die Zeit uns hetzt.


---
(© A. Jagenholz / Neue Gedichte, 2024)


 

 GESCHICK

 

Klettert langsam den Himmel hinauf

flüchtiges Fleisch, gekrümmt von Geist.

Flimmert wie Augen,

die Toten begegnen.

 

Und Lücken täuschen als Licht die Welt.

Versunkene Schatten

im Maul des Seins.

Lässt Spuren zurück, gekratzt in Stein.

 

 

 

                                              Versuchung

                              Gefühltes Spiegelkabinett.
                                 Und wund‘re mich,
                       dass unter Leichtigkeit an Schritten,
                    obwohl die Welt sich zeigt und wiederholt,
                         das Ganze dennoch knirscht.

 

 

Beginn

 

Ruhen in einer Wolke.

Das Sein auf Sand gebaut.

Zwei Burgen gleich,

die stoisch der Wind zerfrisst.

Dort rauscht das Meer wie Nebelschwaden,
aus denen Schiffsskelette tauchen. 

Und Fackelspritzer, die der Kälte trotzen,

werden von Wellen verschlungen.


Wir blicken so lange ins Wasser,

bis wir Medusen werden,

sich blähend aufsteigend

gen Himmel.

Die Köpfe erhoben

steht alles still.

An uns‘ren Tentakeln

tropft die Zeit.

 

  

Widerhall

Und dort im Niemandsland, wo ich
erneut auf deine Augen treffe,
das Anderswo, das du betrachtest,
wenn windzerstäubt ich mich verliere
im Abgrund deiner Schwermut.

 


Halbschatten


Verpasste den Zugang zum Labyrinth,
wo Einsamkeit als mürrisches Kind
in Tunneln rotiert und Wände um Wände
mit Träumen beschrieben Finsternis sieben

in Abdrücken der Schlafwandler mündet,
die Sehnsucht neuer Tage kündet,
die mir nur träge Sphinx-Gebärde
kein Wunsch mehr war
zu finden.

 

 


 

Gleichnis

 

Ich wollte über Nächte schreiben,

die ruh‘n wie leere Häfen.

Am Bug der Schiffe klatscht das Wasser

als tausendalter Höhlenklang

und Windgeschichten setzen Segel

auf endlose Umkreisungen.

Wenn Wort verloren alles wirkt

wie nasse, glatte Steine.

 


Erwachen

  

Mücken schwirren unbemerkt

in leichten Körpern durch die Stoffe

und wissen nicht

von Träumen, Schäumen,

in denen Königreiche schlummern,

oder von Wahngestalt Verzweiflung,

die Draht im Magen Knoten strickt,

wenn aus dem lichten Schlaf wie Schreie

durch leeres Netz der Morgen hallt.

  

 

                                           

Abenddämmerung

 

Werfe eulenartig Blicke

in die nachtdurchwachte Lücke,

in der Bäume ihr Gefieder

nach den Sternen strecken.

Und nach Schatten, die erbleichen,

blicklos durch die Wälder weichen,

stehe ich und sehe nur die tagesabgewandte Welt.

 

Möchte wissen, lernen, schauen,

wenn sich Wahrheiten ankünden,

die abstrakt ihre Bedingung nicht erfüllen.

Hell beleuchtet fällt es dennoch

schwer, das alles zu begreifen,

da die Phänomene schweigen,

weil sie noch zu nahe sind.

 

Hebt die Flügel, leise schwingend,

bis die Dämmerung verfliegt,

strahlt Minervas Licht nur darum,

weil das Dunkel Zentner wiegt.

Ist erkennbar alles höchstens,

wenn es lange schon gewesen,

so an mir, der Welt, den Bäumen

bald vorüber zieht …

 

 

Boden


Ist fest der Stein,
sichtbar die Welt,
rauscht Blut durch Adern, Ohren, Herz,
misst Grenze sich an Grenze.

Und Berge weit Beständigkeit
schafft Illusion an Ewigkeit.
Die Hand vor Augen – rational –
glaubt jeder sich uralt.

So fließt dahin, was Welt, was Sein
und alles, was auf Stoffe baut.
Wo meine Schritte finden stets
den nur für mich geschaff‘nen Weg.

Ist jedes Holz von Geist beseelt,
ist Wind durch Blätterwerk geweht,
ist jedes Wort Gedanken groß
und Schmerz nicht greifbarer als Luft.

Die Hand vor Augen führt voran
ins Sichtbare an Lebenssinn.
Wirft Schatten, die viel größer sind,
als das, wovon sie zeugen.

 

 Reinigung

Es sind und sterben in uns Welten
und dort, wo sie erloschen sind,
stäubt grau verweht der Rest noch weiter,
weht schimmernd, wo wir Wüsten seh'n.
Wir denken, da uns Zwischendinge
auf lange Zeit wie Schatten folgen,
nur diesen Abdruck - dort im Sand,
der bleibt, bis Winde drüber weh'n.



Einsicht


Es dringt hinein,
ohne dass ich es erkläre,
entweicht wieder,
ohne dass ich es zu greifen suche.
Leer bin ich, nur Raum, nur Weite,
wo Geister umeinander toben.
Und Wolken künden Horizonte.

 

 

Abschied
 

Bevor ich gehe,
von Endgültigkeit singe,
im Gesicht noch der Abdruck
- ein Rinnsal aus Träumen.
Bevor ich gehe, nach vorn' triumphiere
  (die Uhren um mich verzögert pulsieren)
kauf' ich noch einmal
festes Schuhwerk.
Nur so. Für alle Fälle.

Puls

 

Fast irreal erstirbt mir alles,

die Grenzen, die besiegeln,

das Leben dort vor fremden Türen,

und was da rauscht, vielleicht in mir.

Dass sie noch ist und in der Welt,

nur weit entfernt, auf langer Reise …

Dass anderswo ein offen Herz

dem Trug entgegenschlägt.

 

So stark und doch auch stark gebeugt,

verschenkt das Sein, die Bücher.

Nicht Sinn, nicht Wert, nichts ist darin

verschwunden.

Sieht lächeln, was längst nicht mehr Fleisch.

Und dort am Tisch, dort lacht auch sie,

deren Gesicht mir Statue bleibt,

ein Marmor der Beständigkeit

hält würdevoll sich selbst.

 

Der Trost der Tränenschleierwelt.

Mit Blumenwerk. So klein, das Bett

dort ohne Mensch. Und sprach: so war sie, so war er,

so sind sie alle nimmer mehr.

War gut, dass ich gesehen hab‘,

da Hände hielt, die meine hielten.

Und nun kein Abschied, Ewigkeit,

zu Ruß verstummt ist mir die Zeit.

 

Ist unwirklich, das Sein, die Welt,

wenn sich die Spiegel wieder öffnen.

Strömt rhythmisch vor, fast wider Willen.

Der Puls gegen die Stille.

 

 

Gesicht des Schlafes

 

Im Holzspielzeug liegt Festigkeit,

mit der das Kind noch prahlt,

versucht das Leben nachzuspielen,

wie es aus Teddyaugen strahlt.

Wacht in den Nächten über Schränke,

aus denen Schatten laichen.

Die Dunkelheit muss neu belebt

in off’nem Spalt entweichen.

 

Ist jedes Bett hier gleich befleckt,

und fragt, wenn aus dem Schlaf und Traum

nun niemand wiederkehrt? Der Raum

wächst über Grenzen, Stimmen, Grund,

dort werden Schatten wieder bunt,

bis Müdigkeit die Angst aufleckt.

 

Und erst im Alter kehrt zurück,

was als vergessen galt,

sind’s wieder Kind geword’ne Augen,

durch die das Leben hallt.

Die wieder neu und sich erinnernd

die Dunkelheit abtasten

des Wartens Ungeduld erschlafft,

die Reise vorgefühlt, geschafft

an tausendfüßigem Vergehen

ins Kissen ruhig und ungesehen

nun über bleichgesichtig Sein

die Schatten hasten.

 

 

Zeitgeister

 

Ein Lachen huscht

über Steingesichter.

Lange Schlangen an Mutlosigkeit.

Über Städte und Gräber

und singende Menschen.

Befreiung als Freiheit

und Entfremdung als Kult.

Das Lachen umhüllt uns

und steigt riesengroß

in Schwaden durch Straßen.

Wo Rebellion sich richtet

gegen den Marlboro Man,

- der Mittelfinger als Waffe.

Wo sich das kochende Blut

von so manchem Dichter

mit Badewasser vermengt.

Und fragt man den Menschen,

was Freude ist, Leben …,

zuckt der mit den Schultern

und lacht.

 


Das Auge des Poliphem

 

Ein gemeinsames Luftschloss

hinter gefurchten Ge-Stirnen.

Sie sorgen sich nicht.

Das sind nur Mutmaßungen.

 

Das mediale Bewusstsein flimmert

und steigt in Seifenblasen aus den Köpfen.

Ich möchte ein Auge erfinden,

das weiter blickt …

 

Nicht hinaus ins All,

soviel Zeit bleibt mir nicht,

aber hinein in nur eine einzige Andeutung,

als Spion in verborgenen Welten.



 

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 © Annelie Jagenholz